Interview mit Prof. Annie Bekker, Professorin an der Universität Stellenbosch
Auf Ihrer Forschungsreise auf der SA Agulhas II haben Sie untersucht, wie das Stahlgefüge des südafrikanischen Forschungsschiffs auf Welleneinwirkung reagiert. Welche Erkenntnisse haben Sie dabei gewonnen? Und sind diese Erkenntnisse auch für Handelsschiffe von Belang?
Im Eis haben wir folgende Erkenntnisse gewonnen: In der Gegend des Endurance-Wracks im Weddellmeer fror die SA Agulhas II im Eis ein und geriet unter erheblichen Pressdruck des umgebenden Eises. Die Last am Bug erreichte 1,5 Meganewton. Das war angesichts der Belastungsgrenze von 1,65 Meganewton für den Schiffsrumpf gemäß DNV-ICE 10 bereits grenzwertig.
Zu den wichtigsten Beobachtungen auf offener See: In Eis navigiert die Crew sehr vorsichtig. Auf offener See wird das Schiff jedoch manchmal im „Eismodus“ betrieben, um schneller voranzukommen und Zeit zu sparen. Das erhöht die maximale Geschwindigkeit des Schiffs um etwa zwei Knoten. Wir stellten fest, dass das Schiff in diesem Betriebsmodus fast doppelt so viel Kraftstoff verbraucht wie sonst. Die Crew ist überdies sehr gut an hohen Seegang gewöhnt. Der eisgängige Rumpf ist gerundet und hat ein verlängertes Heck. Deswegen neigt das Schiff aber zu Bug- und Heck-Slamming. Insbesondere das Heck-Slamming ist problematisch, weil es Whipping verursacht (wobei sich das Schiff für bis zu 40 Sekunden geleeartig verbiegt). Die Beschleunigung, die das strukturelle Gefüge des Schiffs dabei erfährt, ist viel höher als beim Manövrieren in Eis.
Diese Erkenntnisse sind durchaus für Handelsschiffe relevant: Im Zusammenhang mit Slamming und Whipping lässt sich sagen, dass die gleiche 3-Meter-Welle, die auf den Bug des stationären Schiffs auftrifft, bei Einwirkung von der Heckseite eine zehnfach höhere Biegewirkung entfalten würde. Der Slamming-Effekt macht sich unter diesen Bedingungen bis zu zweimal pro Minute bemerkbar. Umfassende Messungen wie die von uns durchgeführten sind sicher für neue, sehr lange Frachtschiffe von Nutzen, die mit welleninduzierten Vibrationen zu kämpfen haben. Unsere Forschung hinsichtlich geeigneter Sensoranordnungen und die möglichen langfristigen Auswirkungen von Whipping auf die strukturelle Ermüdung können zum besseren Verständnis der dynamischen Reaktion von Frachtschiffen beitragen. Wir haben überdies untersucht, wie Menschen auf Wellen-Slamming reagieren und wie stark das Phänomen ihren Schlaf und ihre Arbeit stört. Aus dieser Arbeit lassen sich Zumutbarkeitsschwellenwerte für Kreuzfahrtschiffe ableiten, denn das Kreuzfahrterlebnis der Passagiere ist für den Geschäftserfolg der Reedereien entscheidend.
Welche neuen Möglichkeiten eröffnet die Digitalisierung für Ihre Arbeit?
Wir können Schiffsbeobachtungen und Datenanalysen zunehmend automatisieren. Da wir langfristigen Zugang zur SA Agulhas II haben und die Passagiere Wissenschaftler sind, ist dieses Schiff ein ideales Versuchslabor, in dem wir unsere Methoden ständig verbessern und überprüfen können. In den kommenden Jahren werden wir mit „digitalen Zwillingen“ des Rumpfes und der Antriebswelle arbeiten und auch Mariner 4.0 einsetzen, ein „Human- Cyber-Physical-System“, das taktische und betriebstechnische Erkenntnisse für schiffsbezogene Entscheidungen liefert.
Spezielle Rumpfformen, intelligente Systeme: Wie wird das Schiff der Zukunft aussehen?
Ich erwarte, dass das Schiff der Zukunft ein digitales Gegenstück haben wird, das den Beteiligten zur Verfügung steht. Sensoren, Modelle und die physischen Systeme verschmelzen zu einem Gesamtsystem; zudem wird die geschäftliche Seite von neuartigen Dienstleistungen profitieren, die durch die innovative und zuverlässige Kombination dieser Faktoren bereitgestellt werden können.
Prof. Annie Bekker ist Referentin beim Maritime Future Summit am 2. Februar 2021 in Panel 2.
Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung nicht erforderlich.
Weitere Informationen zum Maritime Future Summit